Kontaminierung
Durch die Katastrophe wurden ganze Landstriche radioaktiv verseucht. Die kontaminierten Gebiete wurden je nach Intensität in Zonen eingeteilt. Laut staatlicher Verordnung dürfen die kontaminierten Zonen 1 und 2 nicht bewohnt oder landwirtschaftlich genutzt werden. Im Distrikt Lugini, welcher der Zone 3 angehört, wurde seit 1986 ohne Unterbuch Landwirtschaft betrieben, obwohl auch dort eine viel zu hohe Strahlenbelastung herrscht. Der Grund dafür ist, dass über 90% der Bevölkerung Selbstversorger und somit darauf angewiesen sind. Bis 1991 waren zum Teil auch noch die Sowchosen, landwirtschaftliche Großbetriebe aus der Sowjetzeit, in Gebrauch. Da jedoch niemand mehr die Produkte aus dieser Region kaufen wollte, wurden die Betriebe nach und nach eingestellt.
Die Zonen
Die radioaktiv kontaminierten Gebiete der Ukraine fallen laut staatlicher Verordnung in vier Kategorien:
Die Zone 1 wird als Sperrzone bezeichnet und umfasst die am stärksten kontaminierten Gebiete, aus denen die Bevölkerung im April und Mai 1986 evakuiert wurde. Betroffen von dieser Massnahme waren etwa 91 000 Einwohner aus 76 Gemeinden rund um Kiew und Zhytomyr, darunter die Städte Prypjat und Tschernobyl.
Die Zone 2 wird als Zone der absoluten Umsiedlung bezeichnet. Dieser Bereich war für die gesamte Bevölkerung obligatorisch zu verlassen. Sie umfasst Gebiete, deren Böden durch langlebige Radionuklide stark kontaminiert wurden (Messwerte für Cäsium-Isotope ab 15,0 Ci/km2, für Strontium ab 3,0 Ci/km2, für Plutonium ab 0,1 Ci/km2). Die Strahlendosis überschreitet in dieser Zone wegen des radioaktiven Austausches der Pflanzen und weiterer Faktoren die Werte vor dem Unfall im Jahresdurchschnitt um mehr als 5,0 mSv (0,5 rem).
Die Zone 3 wird als Zone der garantierten oder auch freiwilligen Umsiedlung bezeichnet und umfasst Gebiete, in denen die Bodenbelastung über den Messwerten vor dem Unfall liegt (5,0 bis 15,0 Ci/km2 für Cäsium-Isotope, 0,15 bis 3,0 Ci/km2 für Strontium, 0,01 bis 0,1 Ci/km2 für Plutonium). Die Strahlendosis überschreitet in dieser Zone die Werte vor dem Unfall im Jahresdurchschnitt um mehr als 1,0 mSv (0,1 rem).
Die Zone 4 umfasst Gebiete, in denen die Bodenbelastung über den Messwerten vor dem Unfall liegt (1,0 bis 5,0 Ci/km2 für Cäsium-Isotope, 0,02 bis 0,15 Ci/km2 für Strontium, 0,005 bis 0,01 Ci/km2 für Plutonium). In dieser Zone werden verschärft Strahlenkontrollen durchgeführt. Die Strahlendosis überschreitet in dieser Zone die Werte vor dem Unfall im Jahresdurchschnitt um mehr als 0,5 mSv (0,05 rem).
Die Zonen 1 und 2 umfassen insgesamt eine Fläche von 2600km2. Wegen der viel zu hohen Strahlenbelastung ist eine Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Tätigkeiten undenkbar. Es wäre eine enorme finanzielle Anstrengung nötig, um die Zone 2 so herzurichten, damit diese wieder genutzt werden und neue Arbeitsplätze entstehen könnten. In den weniger stark kontaminierten Zonen 3 und 4 konnte von Beginn weg weiterhin Landwirtschaft betrieben werden. Die anfallenden Produkte werden nach erfolgter Strahlenkontrolle zum Verzehr freigegeben.
Einwohnerzahlen der betroffenen Zonen
Zone |
Einwohnerzahl 1986 |
Einwohnerzahl 2002 |
1 |
91'000 |
420 |
2 |
45'000 |
9'100 |
3 | 660'000 | 635'000 |
4 | 1'755'000 | 2'290'000 |
Verseuchung der Gewässer
Die höchste Strahlenbelastung der Wasserressourcen wurde in den Flüssen Dnepr und Prypjat gemessen. Diese tragen bis heute am stärksten zum Austausch von Radionukliden bei. Seit dem Unfall hat allein der Fluss Prypjat etwa 150 _ 1012 Bq Strontium-90 und 120 _ 1012 Bq Cäsium-137 in den Stausee bei Kiew geschwemmt. Eine weitere Konzentration von Radionukliden lässt sich auch in den Sedimenten stehender Gewässern wie Teiche, Seen und Stauseen beobachten. Die Kontamination der Gewässer erfolgte einerseits durch den radioaktiven Fallout in Aerosolform auf die Wasseroberfläche, andererseits durch gewisse Nebeneffekte: Der Auswaschung von Radionukliden im Einzugsgebiet der Flüsse und dem entsprechenden Transfer in sauberere Zonen, dem massiven Austausch zwischen Sedimenten und Wassermassen, sowie dem Zustrom von kontaminiertem Grundwasser in die Stauseen. Symptomatisch für die Periode ab 1986 ist das Überwiegen von Strontium-90 und Cäsium-137 innerhalb der radioaktiven Elemente, wobei der Anteil an Strontium-90 im kontaminierten Wasser noch immer ständig zunimmt. Schätzungen legen nahe, dass Strontium-90 auch weiterhin vorherrschen wird. Die Dosis dieses Radionuklids übersteigt diejenige von Cäsium-137 um das 2- bis 35-fache, kann aber im Jahresdurchschnitt weniger als 0,1 Millisievert betragen.
Für die Bevölkerung besteht eine erhöhte Gefahr durch das verstrahlte Wasser. So leben im Einzugsgebiet des Dnepr rund 30 Millionen Menschen, die radioaktiv kontaminiertem Trinkwasser ausgesetzt sind. Weiter besteht das Risiko, dass durch das Wasser Radionuklide auf Fauna und Flora übertragen werden. Eine Bedrohung stellen ausserdem die kontaminierten Stauseen dar, die zur Bewässerung der Felder benutzt werden.
Auswirkungen auf die Grundnahrung
Gegenwärtig stammen rund 80% - 95% der gesamten Strahlendosis, welche die Bevölkerung der ukrainischen Region Polissja aufnimmt, vom Verzehr kontaminierter Lebensmittel aus der unmittelbaren Umgebung. In manchen Gemeinden liegt der Anteil sogar bei 98%, wobei Milch und Fleisch allein 70% – 90% des Gesamtkonsums ausmachen. Das Netz der radiologischen Kontrollstellen ist für die Vermeidung zusätzlicher Strahlenbelastung von zentraler Bedeutung. Sieben Ministerien und Departemente haben gemeinsam eine Lebensmittelkontrolle eingeführt, die sämtliche Produktionsstufen abdeckt. So wurden im Jahr 2000 über eine Million und im Jahr 2001 noch einmal knapp 900 000 Proben auf erhöhte Strahlungen untersucht. Um die Zuverlässigkeit dieses Kontrollnetzes zu gewährleisten, werden die Messgeräte ständig erneuert. Seit 1992 haben lokale Betriebe für die Kontrollstellen mehr als 2000 Instrumente unterschiedlichster Art entworfen und hergestellt, wie zum Beispiel Dosimeter, Radiometer, Spektrometer und Apparate zur Bestimmung von Radioaktivität im menschlichen Körper. Seit 1993 gelangen aus dem öffentlichen Sektor nur noch solche Lebensmittel in den Handel, welche die gesetzlichen Grenzwerte für Cäsium-137 und Strontium-90 nicht überschreiten.
Im Gegensatz dazu sind im Norden der Region Polissja die Messwerte für Lebensmittel aus privater Produktion häufig zwei- bis fünfmal zu hoch. Im Jahre 1997 wurden in 638 Gemeinden entsprechende private Landwirtschaftsbetriebe lokalisiert und im Jahre 2001 stiess man in 447 Gemeinden auf Milch mit erhöhten Cäsiumwerten (über 100 Bq/l).
In dieser Situation sollten weitere Spezialprogramme, eine schärfere Kontrolle der privaten Produktion sowie aller getroffenen Massnahmen sichergestellt werden. Trotzdem bleiben dem Staat die Hände aus finanziellen Gründen weitgehend gebunden.